ScienceSyn – Die Plattform, die antrat um gemeinsam Wissen zu schaffen

Simone Orgel
8 min readMay 19, 2020

Zusammen mit Tom und Sebastian haben wir Anfang des Jahres über der Idee gebrütet, wie die Brücken zwischen Wissenschaft & Zivilgesellschaft gestärkt werden können. Daraus ist ein — wie ich finde — wirklich tolles Konzept entstanden und wir haben es beim Ideenwettbewerb Partizipationsformate des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingereicht. Heute kam leider die Absage. Da wir das Konzept immernoch sehr relevant & wertvoll finden, haben wir uns dazu entschieden diese unter CC-BY-SA 3.0 zu veröffentlichen. Vielleicht kann sie ganz oder Aspekte davon Euch in Eurer Arbeit unterstützen oder es findet sich sogar jemand, der dieses Konzept mit uns verwirklichen will. Wir veröffentlichen unseren Antrag 1:1, also inklusive Konzeptskizzen, MockUps & Arbeitszeitplan.

Wir wünschen inspirierende Lektüre & freuen uns, von Euch zu hören, was Ihr davon haltet.

Photo by Nina Strehl on Unsplash

Titel des Projekts: ScienceSyn — Die Plattform um gemeinsam Wissen zu schaffen

Akronym/Kurztitel: ScienceSyn

Themenfeld: Analoge und digitale Formate der BürgerInnenansprache und des Einsammelns der BürgerInnenfragen, (zusätzlich aber auch zur Visualisierung und Rückbindung)

Höhe der geplanten Zuwendung (geförderte Ausgaben/Kosten des Forschungsprojektes): 74.966,00 EUR (6 Monate)

1. Inhaltliche Kurzbeschreibung des Projekts

Das Ziel von ScienceSyn ist es, aktuelle technische Möglichkeiten & bestehende Formate synergetisch zu nutzen, um über eine Kombination von Teilhabestrategien eine breit in der Bevölkerung verankerte Begeisterung für Wissenschaft zu wecken, ihre aktuelle Bedeutung und Erkenntnisse zugänglich(er) zu machen, um in diesem Zuge BürgerInnen zu ForscherInnen zu ermächtigen. Unser Mission Statement: ScienceSyn macht lokale Forschungsprojekte für die Öffentlichkeit auffindbar und zugänglich und ermöglicht Teilhabe.

Konzeptaufbau: ScienceSyn — Gemeinsam Wissen schaffen.

Zusammenfassende Projektbeschreibung

ScienceSyn ist eine Plattform, um (analog, wie digital) lokale Forschungsprojekte für die Öffentlichkeit auffindbar und zugänglich zu machen, sowie Teilhabe zu ermöglichen. Forschung wird dafür dort verortet, was Menschen beschäftigt: im (Lebens-) Raum, also auf einer Karte. Auf dieser Karte kann (1) bestehende Forschung von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, als auch (2) der Bevölkerung (Citizen Science) gefunden werden und bietet die Möglichkeit (3) selbst ein Thema für Forschung vorzuschlagen {„ScienceAkupunktur} beziehungsweise (4) selbst Teil einer Forschungsgruppe zu werden.

2. Projektbeschreibung, Gesamtkonzept

Eng verwoben mit ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen Megatrends, wie Individualisierung, Digitalisierung und Globalisierung, scheint die Welt für eine breite Bevölkerung zunehmend komplex und Begriffe wie Wahrheits- & Wissenskrisen werden lauter. Folgt man dem Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann führt mehr Unsicherheit und Komplexität zu mehr Informationssuche (2009), denn die Reduzierung von eben dieser Komplexität sieht Luhmann als die zentrale Motivation des Menschen zu (über)leben. Um einfachen Antworten, wie die Verbreitung von Falschnachrichten und ihrer Manifestierung in Verschwörungstheorien vehement entgegen zu treten, bedarf es einer stärkeren Vernetzung von Wissenschaft und Gesellschaft. Oder wie Hannah Arendt es in Ihrer Analyse „Über das Böse“ 1965 beschreibt: das Urteil wird umso repräsentativer sein, „je mehr Standpunkte anderer Leute ich mir in meinem Denken vergegenwärtige und also bei meinem Urteil berücksichtigt werden kann“ (S. 143).

Von Cybersyn¹ zu ScienceSyn — die Plattform um gemeinsam Wissen zu schaffen.

Die ScienceSyn Plattform ist einerseits Orientierungssystem, durch das schnell ähnliche Themen und Fragen gefunden werden können. Die Kartenansicht nach dem Vorbild mundraub e.V. s lässt Forschungsprojekte wortwörtlich leicht verorten und stellt eine Verbindung zur eigenen Region & Lebenswelt dar. Unser Mission Statement: ScienceSyn macht lokale Forschungsprojekte für die Öffentlichkeit auffindbar und zugänglich und ermöglicht Teilhabe. Diese Ansicht birgt das Potenzial ein anschlussfähiger Zugang zu Forschungsdiziplinen zu gestalten. Das Interface von ScienceSyn stellt dabei die unterschiedlichen Einzelwissenschaften dar, die sich wiederum in ihre Teildisziplinen untergliedern (Tags). Forschungsprojekte können innerhalb dieser, wenn nicht über eine Suchmaske, intuitiv und spielerisch erkundet werden. Dabei werden Sprache, Bilder und UX- Design barrierearm gestaltet:

  • Rubriken wie “Fun Facts aus dieser Disziplin”, also spannende Informationen zur jeweiligen Forschungsdisziplin, sorgen für einen anschlussfähigen Einstieg.
  • Ergänzt um analoge Teilhabeformate wird ein Interface für aktive Teilhabe geschaffen.

Das Projekt ScienceSyn versteht “Forschung” als Open Science und damit als eine gleichberechtigten Darstellung von:

  • Citizen Science, also der Möglichkeit von Bürgerinnen und Bürgern selbst Wissen zu schaffen. Dabei wird eine Kooperation mit bestehenden Projekten, wie die Online-Plattform Bürger schaffen Wissen, angestrebt.
  • Institutionelle Wissenschaft, also den aktuellen Forschungen Universtitäten und Hochschulen. Eine der Herausforderungen wird es im Rahmen des Projekts sein, hier geeignete Schnittstellen (APIs) zu finden oder sinnhafte Kooperationen anzustreben, wie bspw. mit ResearchGate oder dem Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv). Dieser Herausforderung wird durch eine lokale Eingrenzung in den zwei Prototyp Phasen Rechnung getragen.
MockUp: Aufbau ScienceSyn angelehnt an dem tollen Aufbau von mundraub.

Themenschwerpunkte:

ScienceSyn stellt sich einem ganzheitlichen Anspruch und zielt auf den ganzen Prozess von Einsammeln, Auswerten bis zum Verwerten von BürgerInnenfragen und hat zum Ziel darüber hinaus zu gehen: Neben der Kommunikation der Wissenschaft zu Öffentlichkeit, fokussiert sich ScienceSyn auch auf die Kommunikation der Öffentlichkeit zu Wissenschaft. Es geht um den Austausch von Bürgerinnen und Bürgern und institutionalisierter Wissenschaft, also die Interaktion zwischen den Akteuren und einen wechselseitigen Lernprozess.

Partizipation neu gestalten

Sciencesyn ist eine Plattform für den Wissenschaftsaustausch und die lokale, regionale und überregionale Vernetzung von Akteuren aus vielfältigen Wissensgebieten. Dabei basieren alle Partizipationsformate auf der einladenden Kraft von spielerischen Elemente, die analog und digital Möglichkeiten und Formate synergetisch verbinden (z.B. StadtAkupunktur, Citizen- Hackathons), sowie auf intuitivem und attraktiven (User Interface) Design, das über das Bekannte (Wohnraum / Karte), Neues (Inhalte / Forschung) greifbar macht und eine direkte Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und wissenschaftlichen Institutionen schafft.

Akteure der Öffentlichkeit

In der Förderphase des Prototyps ist die Öffentlichkeit die wichtigste Anspruchsgruppe. ScienceSyn ist sowohl eine Einladung für diejenigen, die bisher keine Anknüpfungspunkte zu Wissenschaft finden konnten als auch die bestehende Community der Citizen Science und die vielfältigen Akteure der Makerszene ein, ihre Arbeitsschwerpunkte, Themenstellungen und Methoden zu kommunizieren, dazu wissensbasierte Interessengruppen (z.B. aus dem Bereich Stadtentwicklung, Dorferneuerung). Die Plattform wird allen BürgerInnen offen stehen, die sich für lokale oder regionale Projekte interessieren und ggf. auch mitarbeiten wollen.

Akteure der Wissenschaft

Andererseits steht sie der institutionell verankerten Wissenschaft offen, die hier Anregungen der anderen Akteure aufgreifen und Perspektiven und Themen aus der eigenen Forschung anbieten kann. Sciencesyn kann zur Initiierung von Forschungsprojekten genutzt, Kooperationen von Akteuren fördern und den Transfer von Fragestellungen und Wissen in Richtung der institutionalisierten Wissenschaften unterstützen.

Wie unterscheidet sich der zu entwickelnde Ansatz von bestehenden Formaten? Welche Aspekte sind innovativ?

Im Mittelpunkt stehen in unserem Ansatz die Aspekte, die über die Erfassung von bereits existierenden Projekten etwa im Bereich Citizen Science hinaus gehen, (z.B. www.buergerschaffenwissen.de). Sciencesyn setzt bereits auf einer basaleren Ebene an: Reale Probleme werden von BürgerInnen systematisch erfasst (“Stadt- und LandGeSchichten”), und als Problempunkte in einer interaktiven Landkarte sichtbar gemacht (“StadtAkupunktur”). Die Plattform bietet also Fragestellungen und vorhandenes kontextuelles Wissen, um neue Forschungsprojekte zu initiieren. Dabei findet eine engere Verknüpfung der unterschiedlichen Akteure bei der möglichen Lösung dieser Herausforderungen statt. Die Plattform soll zudem als Open Source aufgelegt werden, um zu einer niedrigschwelligen Beteiligung einzuladen. Zudem werden analoge Formate eingebunden, um BürgerInnen direkter zur Mitarbeit auf der Plattform einzuladen und Akteure direkt in Kontakt zu bringen.

Dazu werden wir in einer ersten Stufe als analoges Format eine neue Variante eines „Science- Akupunktur-Pecha Kucha“ anbieten: oder ein Slamformat anbieten. Im Unterschied zu üblichen Pecha Kucha Angeboten, wollen wir reale lokale (wissenschaftliche) Problemstellungen und Herausforderungen („Akupunkturpunkte“) in verständlicher und unterhaltsamer Weise vorstellen und das Publikum zur Zuarbeit von Wissen und ggf. zur Lösungssuche herausfordern. Es geht hier also nicht darum, ein wissenschaftliches Thema vorzustellen, sondern BürgerInnen zu Entwickung von Fragestellung und Weitergabe ihres Wissens zu aktivieren. Vor Ort werden in einer schnellen Feedback-Runde Hinweise und Ideen aus dem Publikum gesammelt. In der Veranstaltung wird aber immer auch die Plattform vorgestellt. Alle Hinweise fließen dann dort mit ein.

In einer (möglichen späteren Projektphase) laden wir dann zu Citizen-Hackathon-Days ein, wo sich Teams insbesondere aus Citizen Science, Interessengruppen, Maker-Szene, Studierendengruppen etc. sich um die Lösung der auf Sciencesyn gezeigten konkreten Herausforderungen stellen. Alle Ergebnisse sollen dann wiederum auf die Plattform fließen.

3. Unsere Forschungsfrage

lautet, im Sinne von Hannah Arendts Gedanken (1965), den Zugang zu Standpunkten zu diversifizieren:Wie lässt sich die Qualität der Kooperation zwischen Akteueren der Zivilgesellschaft (Citizen Science, Makerszene, lokale Interessengruppen etc.) und der institutionalisierten Wissenschaft durch Elemente der Gamification (z.B. Challenges) und durch neue Kommunikationsansätze erhöhen?

Unter welchen Bedingungen lassen sich BürgerInnen und WissenschaftlerInnen auf gemeinsame Herausforderungen ein? Wie lassen sich digitale Vernetzung und analoge Formate auf einer Plattform effektiv verbinden?

6. Verwertungskonzept

Nachhaltigkeit im Sinne von ganzheitlicher und langzeitiger Nutzbarkeit ist essentieller Bestandteil des Projekt ScienceSyn, nicht zuletzt durch den befristete Förderungszeitraum. Alle Bestandteile von ScienceSyn sind nachhaltig konzipiert und sind damit frei zugänglich. Aufbau, Wissen und Erkenntnisse, die in das Projekt einfliessen und aus der Förderung resultierende Ergebnisse, werden im Geiste von „Public Money; Public Code“ unter freien Lizenzen (Creative Commons Lizenzen) der Allgemeinheit zu Verfügung gestellt. Verlauf und Erfahrungen werden dokumentiert und auf der Plattform selbst so aufbereitet, dass darauf zurückgegriffen und aufgebaut werden kann. In der Programmierung wird selbst bereits auf offene Systeme wie Open Street Map und Leaflet zurück gegriffen und jeder weiterentwickelter Code wird als Open Source auf der Plattform GitHub der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Zum Förderungsstart wird das Projektteam sich auch noch einmal der Konzeption von möglichen Anschlussnutzungs-Szenarien von ScienceSyn widmen.

1 Cybersyn:
2019 feierte ein Vorläufer des heutigen Internet seinen 50. Geburtstag: das Arpanet. 2021 wird es der andere Vorgänger: Cybersyn (2015). Das Projekt: Cybersyn —
“cybernetic synergy“ wurde ab 1971 unter der Regierung Salvador Allendes entwickelt und ist der für seine Zeit chilenische Versuch die Zentralverwaltungswirtschaft in Echtzeit durch Computer zu gestalten. Ihrer Zeit voraus, entwarf der britische Betriebswirt Stafford Beer in nur zwei Jahren ein Kontrollzentrum, dass das Wohlbefinden der chilenischen Wirtschaft und damit Gesellschaft darstellen und eine Interaktion ermöglichen sollte. Auch wenn dieses nach dem Militärputsch 1973 zerstört wurde ist das damalige Kommunikationsmuster einen der ersten Ansätze des heutigen Internet und Beer schrieb der Idee auch damals schon andere soziale Innovationen wie das Einsetzen von Interessenvertretern diverser Gruppen im Kontrollzentrum ein.

8.2 Literatur

Arendt, H. (10/2007). Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. München: Piper Verlag.

Eden, M. (2011). Cybernetic Revolutionaries. Technology and Politics in Allende’s Chile. [Online Version]. Cambridge, London: The MIT Press. Abgerufen am 15.01.2020 via https://uberty.org/wp-content/uploads/2015/10/Eden_Medina_Cybernetic_Revolutionaries.pdf

Luhmann, S. (2009). Zur Komplexität von Entscheidungssituationen. [Online Version]. In Soziale Systeme 15, Heft 1, S. 3–35. Stuttgart: Lucius & Lucius. Abgerufen am 01.02.2020 via https://www.soziale-systeme.ch/pdf/SoSy_1_09_LuhmannK.pdf

Dickel, S., Franzen, M.. (2016). Das “Problem of Extension” revisited: neue Modi digitaler Partizipation in der Wissenschaft, Journal of science communication ISSN: 1824–2049 SISS, Trieste 15 2016 1 (Article No. A06_de)

Dickel, S., Franzen, M.: (2015). Wissenschaft im digitalen Wandel: Demokratisierung von Wissensproduktion und Wissensrezeption? WZB Discussion Paper SP III 2015–601

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Simone Orgel

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