#4x4 = Nur Mut. Ausprobieren ist Teil der Digitalkultur.

Simone Orgel
10 min readApr 2, 2020

Kreative, digitale Formate sind so alt wie das Internet selbst. Und trotzdem läuft das Jahr 2020 mit dem aktuellen Boost der Virtualisierung zum Anwärter eines der Kreativsten zu werden. Einerseits. Dem gegenüber stehen Organisationen und Menschen, die unter dem enormen Druck von Absagewellen und Veränderungen stehen und sich an die Chancen des digitalen Experimentierens nicht herantrauen (können).

Mit 4x4 wollen wir unsere Erfahrungen aus unseren unterschiedlichen Digitalkulturen mit Euch teilen: 4 unterschiedliche Menschen, die im Digitalen zu Hause sind, mit 4 Herzensbeispielen, wie digitale Verbindungen stattfinden können und vor allem: Wir wollen Ihnen und Euch 4 Mut machen, eben genau nicht abzusagen, sondern jetzt die eigenen Gehversuche der Digitalkultur zu wagen. #4x4 ist ein Plädoyer zum Ausprobieren.

1x4 🙌 : Das Potenzial der Situation: Strategie als Denken in Communities

von Simone Orgel

Gestalten heißt Verändern. Doch genau wenn der Druck zu Veränderung so groß ist wie jetzt, trennen sich diejenigen, die mutig sind — und seien können — von denjenigen, die sich nicht in ein Ausprobieren stürzen. Dabei trifft Dirk von Gehlen den Punkt, wenn er fragt:

Warum eigentlich nicht die “neue” Hannover Messe digital gestalten? Genau der aktuelle Corona Ausnahmezustand gibt — mehr als ohnehin — den Raum sich auszuprobieren. Spätestens seit sogar bei der virtuellen Pressekonferenz der Kanzlerin ohne Aprilscherz die Verbindung der Videokonferenz abbricht, können wir getrost einem möglichen Schiefgehen die Stirn bieten — das Verständnis von allen Beteiligten ist so groß wie nie zuvor.

Photo by “My Life Through A Lens” on Unsplash

Dass trotzdem eine Absage die andere jagt, scheint mir mit dem nachvollziehbarer Weise großen Wunsch nach Orientierung, Eindeutigkeit und damit auch dem Wunsch nach Strategien für das Ungewissen verbunden zu sein. Als Plädoyer zum Ausprobieren, möchte ich Euch einladen, den bekannten Boden der Ziele und Modelle hinter Euch zu lassen und mit mir dem Gedanken des französischen Philosophen & Sinologen Jullien François (1999) zu folgen: Hier wird Strategie zum Aufspüren von Situationspotenzial und deren tragender Faktoren. Übertragen auf den digitalen Raum, kann Strategie als Denken in Communities verstanden werden (mehr dazu hier), dafür habe ich Euch vier Beispiele mitgebracht, die nicht nur mein Herz höherschlagen lassen, sondern auch deutlich machen, was für eine Power in der Strategie “Denken in Communities” liegt:

  • 5 Tage. 7 (community based) Initiativen. 42.968 Anmeldungen und nach 48h hacken über 1.500 entwickelte Projekte: Der Wir vs. Virus Hack ist ein Meilenstein in Sachen Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Politik. Er ist ein Anwärter, der größte Hackathon der Welt zu werden und das, nicht zuletzt dank dem “Mut” der Bundesregierung Kontrolle abzugeben & sich dem Experiment in kürzester Zeit hinzugeben. Das hätte sicherlich nicht so toll geklappt ohne die Unterstützung der beteiligten Initiativen — die selbst wie bspw. der Prototypfund Community basiert sind. Sich jetzt die 20 von der Jury ausgezeichneten Projekte, auszuzeichnen, könnten die best investierten 40 min sein.
  • Digitalkultur (WTF? Mehr dazu hier) wird geprägt von denjenigen, die den Raum (mit)gestalten. Das heißt nicht, dass diese zwangsläufig schön, gemütlich und einladend ist — im Gegenteil: digitale Gewalt, Hatespeech, Trolle, etc sind Teile des Digitalen und riesen Herausforderungen. Dass es genau in einer Diskussion mit Menschen, die eine andere Meinung haben, aber nicht dazu kommen muss, zeigt Change my View.
  • Ein Netz ist mehr als die Summe seiner Knoten: Dass sogar Produktionsknappheit, wie der von professioneller Schutzausrüstung, in Gemeinschaft einfacher zu lösen ist, als alleine, zeigt der Support von Makerspaces, wie dem XHain. Dort gibt es die nötigen Maschienen und das Know-How, um in die Produktion zu gehen — aktuell fehlt “nur” noch das Geld für das Material. Wer supported kann, gern! Und dank dem #WirvsVirusHack Projekt Print4Life gibt es jetzt auch eine zentrale Sammel- & Verteilungsstelle.
  • Arbeiten, Alltag managen und parallel auch noch die “Berufung” nun auch lehrend tätig zu sein: Corona ist für eine Vielzahl von Familien ein logistisches Meisterwerk mit — best Case — einem Geduldsfaden aus Stahl. Um *Homeschooling* zu vereinfachen & sich zu unterstützen, haben sich eine Vielzahl technisch vermittelter Interaktionsräume ausgebildet — ein temporäres, digitales, community based Bildungssystem.

2x4 🙌: Was würdest Du tun?

von Christoph Brosius

Bei all der Sehnsucht nach der Verbundenheit mit anderen Menschen stellt sich mir eine zentrale Frage: Was würden wir denn eigentlich wirklich machen, wenn wir jetzt mit anderen Menschen in einem Raum sein dürften? Was vermissen wir tatsächlich an der aktuell versagten Gemeinschaft? Andere sehen und hören zu können, scheint es ja nicht allein zu sein.

Ich würde mich vor allem gerne sicher fühlen. In der Küche von Freunden habe ich keine Bedenken Vertrauliches zu berichten, Fotos voller Stolz zu teilen und mit meinem Schrittzähler anzugeben. Für mich und viele andere sind soziale Netzwerke keine so sicheren Orte. Diese Lücke haben auch zwei ehemalige Facebookmitarbeiter gesehen und die App Cocoon ins Leben gerufen. Hier können Babyfotos geteilt werden, ohne sie 20 Jahre später noch im Netz zu finden. Und hier kann ich mich mit den mir eng vertrauten Menschen so austauschen, als ob wir wirklich beim Kaffee in der Küche sitzen würden.

Egal ob in der der Küche, oder im Konferenzraum: Ich würde in jedem Fall auch ausgiebig aus dem Fenster schauen. So gern ich unter Menschen bin, so sehr genieße ich es auch eine andere Aussicht zu haben, eine andere Perspektive. Die Gedanken schweifen lassen, Tapetenwechsel im Kopf, um sich dann wieder besser auf das Gegenüber fokussieren zu können. Diese Einsicht hatte scheinbar auch der Mathematiklehrer Charles Coomber, der sich deshalb eins der angesagtesten VR-Games geschnappt hat, um darin eine Unterrichtseinheit aufzunehmen. Denn in „Half Life: Alyx” kann man unter anderem auf Fensterscheiben freihändig schreiben — perfekt für Geometrie, aber auch um voller Neugier am rechten Winkel vorbei in die Science-Fiction Welt dahinter zu schauen.

Sich mit den anderen im Raum vergleichen können ist mir auch etwas wert. Das ist besonders entscheidend, wenn man zum Beispiel versucht zu einer gemeinsamen Einschätzung einer Aufgabe zu kommen. Im agilen Projektmanagement kennt man das Planning Poker, bei welchem mit der Hilfe von Spielkarten die Komplexität spielerisch eingeschätzt wird. Im Tabletop Simulator kann man dank einer großen Community und einem starken Editor so ziemlich jedes erdenkliche Brettspiel virtuell genießen. Natürlich gibt es dort auch virtuelles Planning Poker, bei dem ich alle Teammitglieder am digitalen Tisch zum Kartenspiel einladen kann. Auch in VR übrigens, wenn man mag. Es wird sicher nicht mehr lange dauern bis dort auch Businesspläne geschrieben und Brainstormings abgehalten werden.

Auf eins würde ich im echten Raum jedoch auch gern verzichten. Nicht unbedingt müsste ich immer alle Anwesenden und ihr letztes Mahl riechen können. Der Spielepublisher Ubisoft hat für das virtuelle Riechen noch 2016 den humorvollen „Nosulus Rift“ beworben — und alle haben gelacht. Heute vertreibt Vaqso mit wachsendem Erfolg den olfaktorischen Zusatz für jede VR Brille. Das stinkt mir jetzt schon.

3x4 🙌: Community in virtuellen Welten

von Christian Scholz (aka Tao Takashi [Second Life])

Wenn dieser Tage etwas sehr in Mode gekommen ist, dann sind es wohl Videokonferenzen. Und obwohl diese natürlich besser sind als Telefonate, so hat man doch nicht wirklich das Gefühl, zusammen an einem Ort zu sein.

Doch es gibt nicht nur Videokonferenzen, sondern es gibt natürlich auch und immer noch virtuelle Welten oder auch reine Games, die man nutzen kann, um eine etwas andere Erfahrung zu haben.

Aus meiner Sicht ergeben sich die folgenden Erfahrungen:

  • das Gefühl — wie in Real Life — mit anderen Menschen an einem Ort zu sein. Es ist eher eine Erfahrung, die man mehr aus dem Alltag kennt, als 10 kleine Löcher auf einer weißen Wand, aus der Menschen schauen.
  • Man hat das Gefühl von Örtlichkeit. Je nach Situation kann man sich zusammen in eine virtuelle Kneipe begeben oder in einen Seminarraum. Man hat eine Verbindung von Ort und Tätigkeit.
  • Gemeinsam aktiv sein, sei es das kreative Arbeiten direkt miteinander, das Erkunden oder aber das Kennenlernen neuer Leute.

Warum also als Experiment nicht einmal einer virtuellen Welt einen Besuch abstatten? Derer gibt es viele, wie z.B. altspaceVR, Second Life, Project Sansar, Mozilla Hubs, VRChat, SineSpace und so manch andere.

Eine VR-Brille braucht man je nach Plattform im übrigen nicht. Sie hilft sicherlich mit der Immersion, aber auch ohne hat man nach etwas Eingewöhnung das Gefühl, wirklich dabei zu sein.

Szenarien

Virtuelle Welten bieten sich für eine Vielzahl von Situationen an, sei es im Business- oder im Freizeit-Bereich.

Virtuelle Konferenzen

Gerade aktuell haben wir es mit einer Vielzahl von abgesagten Konferenzen zu tun. Während manche Konferenz, wie die Game Developers Conference, rein per Livestream abgehalten wurde, fanden andere Konferenzen komplett im virtuellen Raum statt (siehe auch hier).

Positiver Nebeneffekt: Man spart nicht nur Fahrt- und Übernachtungskosten ein, sondern auch eine ganze Menge CO2.

Freizeit: Musik

Ist man vor der Corona-Krise in eine Kneipe gegangen, um Live-Musik zu hören, so kann man dies auch im virtuellen Raum tun.

Gemeinsam Gutes tun

Schon seit 2004 gibt es beispielsweise den Relay For Life of Second Life , einen virtuellen Spenden-Marathon zugunsten der American Cancer Society. Auch virtuell gibt es dazu einen Rundlauf, der 24h bespielt wird. Der Spendenbetrag lässt sich dabei durchaus sehen. So kamen allein im Jahr 2014 fast eine halbe Million US-Dollar zusammen.

Bei Fragen und Anregungen rund um das Thema virtuelle Welten, schreibt mir gerne eine Mail: mrtopf [at] gmail.com

4x4 🙌: Intro in Virtual Reality Brillen

von Maren Demant

Kommunikation ist die Interaktion zwischen Mensch, Raum und Objekt — die Komponenten gemeinsamer Raum und Objekt sind aktuell ein rares Gut! Aber es gibt Geräte, die uns ein Tor in erfahrbare virtuelle Räume öffnen: Virtual Reality Brillen! Es folgt eine kurze Einführung in das Thema für alle, die noch keine Berührungspunkte mit VR hatten.

Was sind Virtual Reality Brillen?

Virtual Reality Brillen ermöglichen es mit den Sinnen des stereoskopischen Sehens, Hörens und der Lage im Raum in virtuelle Umgebungen abzutauchen. Tauchen ist hier ein gutes Stichwort, trägt man ja quasi eine Taucherbrille mit integriertem Bildschirm. Die meisten VR-Brillen haben Sensorik verbaut, die die Position im Raum erfassen können. Damit kann man sich in der virtuellen Umgebung (fast) so frei wie im echten Leben bewegen.

Warum spricht man von VR “Experiences”?

Applikationen für Virtual Reality Brillen nennt man auch “Erfahrungen” oder “Experiences”. Diese Beschreibung stellt den qualitativen Charakter von Virtual Reality sehr gut heraus.

Ein Beispiel: Bei der Virtual Reality Erfahrung “Richies Plank” kann man hoch über einer Stadt über eine Planke laufen. Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die obwohl sie ganz genau wussten, dass sie nicht herunterfallen können, die Planke ohne Aufregung überqueren konnten.

Social Virtual Reality

Neben Anwendungen für nur einen Nutzer, kann man sich mit Virtual Reality Brillen auch mit mehreren Personen in digitalen Räumen treffen, lernen, kreativ und produktiv sein und Spiele zusammen spielen.

Im Vergleich zu Video Calls hat man durch die virtuelle Verortung das Gefühl wirklich mit den anderen Teilnehmern zusammen zu sein. Die eigene Körpersprache wird dabei auf sogenannte “Avatare” — eine körperliche Repräsentation im Digitalen — übertragen.

Hier ein Avatarselfie in der Meeting Anwendung “Engage VR” während einer kreativen Pause auf dem Mond. Tatsächlich waren mein Meetingpartner und ich gerade in unseren Büros in Düsseldorf und Berlin.

Produktivität in Virtual Reality

Über VR Controller werden digitale Objekte greifbar und veränderbar. So kann man beispielsweise zusammen an einem Whiteboard arbeiten, 3D Modelle erstellen oder gegeneinander Tischtennis spielen.

Das Magazin RoadtoVR hat bereits eine gute Übersicht über die bestehenden Anwendungen erstellt (in Englisch)

Geräteempfehlungen

  • 1. Oculus / Oculus Quest (Standalone)
  • 2. Samsung Mixed Reality / Odyssey (mit Kabel und PC)
  • 3. HTC Vive / Vive Pro (mit Kabel, PC und externen Sensoren)

Wo finde ich Virtual Reality Anwendungen?

1. Steam https://store.steampowered.com/?l=german

2. Oculus Store https://www.oculus.com/experiences/quest/

3. Viveport https://www.viveport.com/infinity

Für alle, die jetzt die Zeit zu Hause nutzen möchten, um Virtual Reality auszuprobieren empfehle ich Grover. Hier kann man sich Technik monatsweise ausleihen.

Bei Fragen und Anregungen rund um das Thema Virtual Reality, schreibt mir gerne eine Mail: maren [at] invisibleroom.com

All together now 🤗— Die 4 dieser 4x4 Ausgabe:

Pic credits: Spreeblick

Simone Orgel — lebt & arbeitet als Digital Strategin und Künstlerin in Berlin. Im Fokus: Digitalkultur, Partizipationsprozesse und Community Building im digitalen Raum zu denen sie auch an der Universität der Künste forscht. Dort studierte sie Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, unter anderem mit Aufenthalten an der University of Toronto. Simone arbeitet seit über 10 Jahren als Kommunikationsexpertin für verschiedene öffentliche und private Institutionen und spricht zu den Themen Digitale Gesellschaft und Innovation. Bis Dezember 2017 war sie Head of Project & International Relations bei re:publica, einer der größten Konferenzen für Internet und Gesellschaft in Europa.

Christoph Brosius Spielerische Komplexitätsreduktion durch Game Thinking ist sein Thema. Als Berater coacht er Unternehmen, als Moderator unterstützt er die Kreativwirtschaft und als Dozent unterrichtet er Medienproduktion. Dabei nutzt er seine 20-jährige Erfahrung in der Kreativwirtschaft, von der Arbeit in der der Druckerei der Eltern, über die Lehre zum Werbekaufmann bei Grey Worldwide, hin zur Arbeit als Regieassistent und Aufnahmeleiter für TV und Hollywood Kino bis hin zur Ausbildung zum Producer für Computer- und Videospiele. Er war Mitgründer der Game Thinking Agentur Die Hobrechts und ist Geschäftsführer des E-Mental-Health Entwicklers Circumradius.

Christian Scholz– Second Life-Veteran

Invisible Room GmbH & Co. KG | Maren Demant — Invisible Room entwickelt und gestaltet Extended Reality (XR): Virtual Reality, Augmented Reality, Web XR und Media Spaces. Als Berater und Produktions­studio begleiten wir Organisationen bei dem Einsatz von XR und entwickeln cross­mediale Produkte von der ersten Idee bis zum Launch. Wir sind Partner für Strategie, Konzeption, Entwicklung und Projektsteuerung.

Die Gründer und Geschäftsführer von Invisible Room — Maren und Sascha — haben ihre Wurzeln im Design und der Softwareentwicklung. Ihre Erfahrungen und Wissen teilen sie unter anderem als Lehrbeauftragte an der University of Europe, Berlin.

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Simone Orgel

Hi! My greatest pleasure to emeet. I am an experienced consultant and strategist with a history of working in the field of ICT, culture and events.